Anniversaries
D-Day, Prager Frühling, Islamische Revolution, Srebrenica, 9/11, Verdun, Kapitulation Saigons – diese historischen Ereignisse haben sich weltweit tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Alljährlich wird an bestimmten Tagen die Erinnerung an die Vergangenheit lebendig gehalten, oft mit großen Feierlichkeiten und öffentlichen Ritualen. Weshalb eigentlich? Jahrestage sind wichtige Denkmäler der Zeit und Selbstbestätigung der Identität von Nationen, politischen Gemeinschaften oder ideologischen Bewegungen. Sie zeigen das, was Freiheit, Tyrannei, Unterdrückung und Befreiung bedeutet. Diese Form des Gedenkens vereint, bewegt und polarisiert, sie bringt Freude und Trauer, Hoffnung und Verzweiflung hervor und schafft emotionale Erinnerungsräume.
Der Fotograf Marc Beckmann beobachtet seit 2004 Militärparaden, Staatsakte, Gedenkminuten und Demonstrationen im Rahmen ausgewählter Jahrestage in der ganzen Welt. Jedoch verlässt er den oft streng protokollarisch festgelegten Rahmen und richtet stattdessen seine Kamera auf die stillen Randbeobachtungen der einzelnen Veranstaltungen. So reproduziert er nicht eine vorgegebene Sichtweise und Interpretation, sondern offenbart den Umgang, die Inszenierungen und die Instrumentalisierung von Geschichte durch die jeweils Herrschenden in der Gegenwart.
Die fotografische Langzeitstudie von Marc Beckmann wirft anhand eines in allen Kulturen vertrauten Sujets zahlreiche Fragen auf: Wer hat hier was wie und warum inszeniert? Welche politischen Entscheidungen stehen hinter der Ausgestaltung der Feier? Welche Redebeiträge sind vorbereitet, welche Gesten, welche Emotionen spontan? Wer ist eingeladen? Und wie entstehen die Bilder dieser Ereignisse, die um die Welt gehen und sich wiederum in das kulturelle Gedächtnis einschreiben? Die historischen Schlüsselmomente, an denen bei den Jahrestagen gedacht wird, sind nur die Folie für aktuelles Staatsthaater und dessen Medienzirkus. Bei diesen Veranstaltungen, die als Schnittstellen zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis fungieren, wird die Geschichte auf mythische Archetypen reduziert und wirft dabei immer auch die Frage nach der bewussten Konstruktion von Erinnerung auf – eine Mehrdeutigkeit der Ereignisse wird hier kaum akzeptiert. Denn nur in der plakativen Vereinfachung können die oft traumatischen Erlebnisse kanalisiert und Erinnerung und der aktuelle Status quo stabilisiert werden. Die regelmäßige Wiederholung ist ein Sinn- und Identifikationsangebot und verpflichtet zudem zukünftige Generationen.
Indem Marc Beckmann eben nicht die offiziellen Bilder – Politiker, Bühnen, Kränze, Betroffene und Zuschauer – produziert, entzieht er sich und den Betrachter den gewohnten Stereotypen. So ist seine Arbeit Ausdruck des Bestrebens von Fotoreportern und Künstlern, angesichts einer zunehmenden Unfähigkeit neutraler oder unabhängiger Bildberichterstattung nach neuen Bildstrategien zu suchen. Gerade in diesem Grenzbereich zwischen fotojournalistischem und künstlerischem Bild eröffnen sich neue Möglichkeiten, um Mechanismen hinter Produktion und Rezeption heutiger Medienbilder zu hinterfragen.
Marc Beckmann, geboren 1978, studierte Fotografie an der FH-Bielefeld und schloss 2006 sein Studium bei Professor Roman Bezjak mit einer Arbeit über die Kultur der Koka in Bolivien ab. Er wird durch die Ostkreuz Agentur vertreten und arbeitet als freier Fotograf für Magazine und Unternehmenskommunikation. Seit 2004 arbeitet er an dem Projekt Die Jahrestage, über die Erinnerungskultur von historischen Ereignissen. Marc Beckmann lebt und arbeitet in Berlin.
Sarah Alberti, geboren 1989, studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie Kunstgeschichte an der Universität Leipzig, der Université de Bourgogne (FR) und der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Als freie Autorin ist sie u. a. für monopol – Das Magazin für Kunst und Leben, frieze d/e, Artmapp – Das Kunstmagazin für Entdecker und die Wochenzeitung Der Freitag tätig. Zudem war sie von 2011 bis 2014 Kunstredakteurin des kreuzer – Das Leipzig Magazin. 2013 erhielt sie den Anerkennungspreis für Kunstkritik des Landesverbandes Bildende Kunst Sachsen e.V. Sarah Alberti lebt und arbeitet in Leipzig.
Die Eröffnung findet am Freitag, den 19. Juni 2015, um 19 Uhr im Amerika Haus in der Hardenbergstraße 22-24 statt.