Sarker Protick
Der bangladeschische Fotograf Sarker Protick spannt in seiner Ausstellung অঙ্গার . Awngar den Bogen zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten. Mit Blick auf das historische Gebiet Bengalens, das sich heute über Indien und Bangladesch erstreckt, legt er die Verbindung zwischen der kolonialen Geschichte des indischen Subkontinents und der bis heute andauernden Ausbeutung der dort lebenden Menschen und Ökosysteme offen.
Seine fotografische Untersuchung gleicht dabei einer Feldforschung. Wie viele seiner Arbeiten ist অঙ্গার . Awngar als Langzeitprojekt angesetzt. Im Fokus steht der Zusammenhang zwischen dem Ausbau von Eisenbahnverbindungen und dem Kohlebergbau im 19. Jahrhundert unter der Kolonialherrschaft des British Empire.
Für Awngar begab sich Protick auf die Reise an verschiedene Orte in Indien und Bangladesch, beispielsweise nach Narayankuri, Westbengalen, wo sich eine der ältesten Minen Indiens befindet. Oder an die 1,6 Kilometer lange Eisenbahnbrücke Hardinge Bridge – ein Prestigeprojekt, das zwischen 1910 und 1915 erbaut wurde und sich über den Padma River in Bangladesch erstreckt. Bis heute ist sie ein wesentlicher Teil der Infrastruktur des Schienenverkehrs und somit ausschlaggebend für die Mobilität der Arbeiter:innen und den Transport von Exportgütern. Gleichzeitig erinnert diese Infrastruktur an die brutale Geschichte der Teilung Bengalens.
Proticks Fotografien zeigen dystopische Kohlereviere umgeben von Schutt und Staubwolken, stillgelegte Eisenbahnstrecken, die ins Nichts führen, sowie Ruinen und Relikte des Spätkapitalismus, die an einst florierende Industrien erinnern. Seine sorgfältig durchdachten, minimalistischen Kompositionen öffnen den Blick für menschenleere Räume und Landschaften. Dabei arbeitet er vor allem mit natürlichen Lichtquellen, mit denen er sanfte und blasse Farbtöne erzeugt und so eine poetische, vermeintlich zeitlose Atmosphäre schafft. Andere Bildgegenstände, wie die imposante Hardinge Bride, setzt er abstrahiert in Schwarz-Weiß-Aufnahmen grafisch in Szene.
Protick gelingt es scheinbar mühelos, Widersprüche in seinen Bildern zu vereinen: Etwa der Verlust von Ressourcen und Lebensgrundlagen mit dem fortwährenden kapitalistischen Streben nach Wachstum. অঙ্গার (Awngar) bezeichnet im Bengalischen nicht bloß Kohle als Material, sondern referiert auf die Kohle als immerwährende Matrix in der Tiefe der Erde – als etwas, das von innen heraus erglühen und ewig unterhalb der Oberfläche brennen kann. Hiermit steht der Begriff sinnbildlich für die Kolonialgeschichte des British Empire und der kapitalistischen Strukturen, die heute durch privatisierte Bauunternehmen und Großkonzerne aufrechterhalten werden. In einer präzisen und atmosphärischen Bildsprache legt Protick die globale, geopolitische und historische Dimension des Imperialismus und dessen Einfluss auf die Klimakrise dar.
Mit অঙ্গার . Awngar zeigt C/O Berlin die erste monografische Ausstellung von Sarker Protick in Deutschland. Die Doppelausstellung der beiden Preisträger:innen Laura Huertas Millán und Sarker Protick wird von Katharina Täschner, Junior-Kuratorin bei C/O Berlin, kuratiert. Es erscheint eine begleitende Publikation bei Hartmann Books.
Der After Nature . Ulrike Crespo Photography Prize ist ein gemeinsames Projekt der C/O Berlin Foundation und der Crespo Foundation. Jährlich ermöglicht der Preis die Umsetzung zweier rechercheintensiver Projekte und würdigt Künstler:innen oder Gruppen, die durch ihre Arbeit neue Konzepte von Natur in Fotografie und visuellen Medien erkunden. Der Preis beinhaltet ein Preisgeld von je 40.000 Euro, eine Ausstellung bei C/O Berlin und eine begleitende Publikation. Anschließend ziehen die Ausstellungen in den Open Space der Crespo Foundation in Frankfurt am Main.
Sarker Protick (*1986, Bangladesch) ist Fotograf, Dozent und Kurator. Er hat am South Asian Media Institute – Pathshala in Dhaka studiert, wo er heute als Direktor des internationalen Programms tätig ist. Zudem ist er Co-Kurator des Chobi-Mela- Festivals, des am längsten bestehenden Fotofestivals in Asien. Seine Arbeiten thematisieren häufig die Vergänglichkeit von Zeit und sind in Bangladesch und der historischen Region Bengalen angesiedelt. Sie werden in internationalen Ausstellungen gezeigt und erhielt verschiedene Stipendien und Preise, unter anderem war er Foam Talent und erhielt den Magnum Foundation Fund. Er lebt und arbeitet in Dhaka, Bangladesch.