Documentary in Flux

„Anlässlich des 25. Geburtstags von C/O Berlin wirft die Ausstellung einen Blick auf fast zwei Jahrzehnte des C/O Berlin Talent Award. Seit der Gründung im Jahr 2000 engagiert sich C/O Berlin dafür, aufstrebende Talente zu fördern und ihnen eine Plattform für künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Medium Fotografie im weitesten Sinne zu ermöglichen. Der C/O Berlin Talent Award ist seit 2006 ein fester Bestandteil dieses programmatischen Schwerpunkts, und nach wie vor ein einmaliger Nachwuchsförderpreis, da er seit jeher an Künstler:innen wie auch Theoretiker:innen vergeben wird. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden so über 90 Talente ausgezeichnet – 47 Tandems aus beiden Disziplinen.“
– Veronika Epple . Junior-Kuratorin . C/O Berlin Foundation
Anfangs noch auf einem offenen Bewerbungsverfahren und themenspezifischen Einreichungen basierend, entwickelte sich das Konzept des Award durch die Einbindung von internationalen Expert:innen in ein Nominierungsverfahren sowie Jurymitgliedern aus den Bereichen Fotografie und Buch weiter. Seit 2020 bildet das Leitthema New Documentary Strategies den inhaltlichen Rahmen des Wettbewerbs. In Zusammenarbeit mit dem Verlag Spector Books werden die ausstellungsbegleitenden Publikationen seit 2018 als individuelle Fotokunstbücher gestaltet und herausgegeben. Die bis 2025 insgesamt 47 erschienenen Publikationen, die jeweils ein Interview und einen Essay enthalten und so die theoretische Perspektive auf die künstlerische Arbeit ergänzen, bilden einen zentralen Bestandteil dieser Ausstellung und werden mittels einer Bücherwand vorgestellt.


Die Ausstellung präsentiert vierzehn ausgewählte künstlerische Positionen und versucht diese neu zu kontextualisieren. Die Werke zeigen auf, wie unterschiedlich dokumentarisches Arbeiten gedacht werden kann und spiegeln gleichzeitig die gesellschaftlichen Fragen, Diskurse und Ästhetik ihrer Zeit wider. Die Ausstellung folgt dabei keiner chronologischen Struktur, sondern gliedert sich in vier thematische Kapitel, die übergeordnete Ansätze des Dokumentarischen hervorheben. Im Rahmen der Ausstellung äußern sich ehemalige Theorie-Gewinner:innen in kurzen Textbeiträgen erneut zur künstlerischen Position und reflektieren ihre damaligen Ansätze.
Das erste Kapitel widmet sich den traditionellen Genres der dokumentarischen Fotografie: Reportage, Landschaft, Porträt. Gezeigt werden die Arbeiten von Friederike Brandenburg (2010), die in ihrer Landschaftsfotografie Spuren menschlicher Anwesenheit in Norwegens Natur dokumentiert; Sibylle Fendt (2006), die Menschen mit pathologischer Sammelsucht in ihren Wohnräumen porträtiert und Janina Wick (2008), die das fragile Moment zwischen Kindheit und Erwachsensein anhand von Porträts festhält.


Den Übergang zum zweiten Kapitel, der sich mit der Inszenierung in der Dokumentarfotografie beschäftigt, bilden die Arbeiten von Tobias Zielony (2007), der für seine Motive von jungen Menschen, die am Rande der Wohlstandgesellschaft und der sozialen Akzeptanz leben, bekannt ist, sowie Pepa Hristova (2008), die eine muslimische Minderheit in Bulgarien fotografiert.
Die nächsten Arbeiten laden ein, über die Linearität dokumentarischer Erzählweisen sowie das Spiel mit dokumentarischer Ästhetik zu reflektieren: Florian van Roekel (2012) begleitet über mehrere Monate hinweg Mitarbeitende in einem niederländischen Büro, bis sie die Anwesenheit der Kamera vergessen und sich verträumt fotografieren lassen. Karolina Wojtas (2022) bricht in ihrer Arbeit alle Regeln der Fotografie und setzt sich in einer außergewöhnlichen, collageartigen Bildanordnung kritisch mit dem autoritären Schulsystem Polens auseinander; Emanuel Mathias (2015) verarbeitet gefundenes Archiv-Bildmaterial zur DDR-Geschichte der Leipziger Baumwollspinnerei.


Im dritten Kapitel erweitert sich der Medienbegriff: Bewegtbilder und Rauminstallationen treten in den Fokus. Sylvain Couzinet-Jacques (2019) zeigt eine atmosphärische 12-stündige Videoarbeit, die Jugendliche am Triumphbogen in Madrid einfängt; Anna Ehrenstein (2020) spielt in ihren futuristischen Bildwelten mit verschiedenen Medien und Materialien, um globale Machtverhältnisse zu hinterfragen; Adji Dieye (2021) verarbeitet Archivbilder auf Seide, um koloniale Narrative aufzubrechen und Sasha Kurmaz (2016) verortet seine dokumentarische Praxis im öffentlichen Raum und verbindet diese mit aktionistischen Elementen.
Das letzte Kapitel richtet den Blick schließlich in die Zukunft. Angesichts der Omnipräsenz und Schnelllebigkeit digitaler Bilder, Künstlicher Intelligenz und Fake News stellt sich die Frage nach dem Realitätsanspruch dokumentarischer Fotografie neu. Willem Popelier (2012) untersucht die Inszenierung politischer Kommunikation, indem er Ausschnitte aus den wöchentlich stattfindenden Ansprachen des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama über seine Amtszeit von 8 Jahren übereinanderlegt. Ivonne Thein (2008) thematisiert in ihren digital manipulierten Bildern das krankhafte Streben nach extremem Schlanksein in der Pro-Ana-Bewegung und präsentiert darüber hinaus eine neue Installation, die mit Künstlicher Intelligenz generierte, deformierte Hände zeigt.

Mit Documentary in Flux . Revisiting the C/O Berlin Talent Award präsentiert C/O Berlin die erste umfassende Ausstellung, die sich gänzlich dem C/O Berlin Talent Award und den verschiedenen Ansätzen und Strategien dokumentarischen Arbeitens widmet.
Seit 2020 wird der C/O Berlin Talent Award durch die Alexander Tutsek-Stiftung ermöglicht. Die Ausstellung wird im Sommer 2026 in der BlackBox der Alexander Tutsek-Stiftung in München zu sehen sein.




